Ein Reihenhaus für eine Flüchtlingsfamilie
“Vermieten Sie Wohnraum – helfen Sie Flüchtlingen!” Mit diesem Aufruf wendet sich der Berliner Senat seit November an private Immobilienbesitzer. Denn die Stadt hat nicht genug eigene Unterkünfte für die vielen Flüchtlinge. Und gewerbliche Vermieter verlangen oftmals hohe Preise. Hanfried Wiegel sah dieses Problem – und folgte dem Senats-Aufruf.
Hanfried Wiegel hätte das gepflegte Reihenhaus seiner Eltern in Berlin-Lankwitz verkaufen können. Dann wäre er jetzt wohl ein vermögender Mann. Zelimkhan Akhmadov hätte in Tschetschenien bleiben können. Dann wäre er jetzt möglicherweise tot.
Aber Zelimkhan Akhmadov ist nach Berlin geflohen, und Hanfried Wiegel wollte Flüchtlingen ein Zuhause geben. Und so stehen die beiden ungleichen Männer, der Berliner schlank und grau-blond, der Tschetschene kräftig und dunkelhaarig, im Flur von Herrn Wiegels Haus. Und schütteln einander herzlich die Hände. Etwa alle 14 Tage schaut Hanfried Wiegel bei seinen neuen Mietern vorbei und freut sich über das freundliche Hallo trotz der Sprachbarriere: “Ich habe das Gefühl, die Leute freuen sich, wenn ich komme – oder auch wenn mein Bruder manchmal vorbeikommt. Dann frage ich immer nach, ob es irgendwelche Probleme mit dem Haus gibt.”
Im Garten blühen Tulpen und ein alter Apfelbaum …
Aber bislang gibt es keine Probleme. Zelimkhan Akhmadov ist ein praktisch veranlagte Mieter. Er legt selber Hand an, wenn die Farbe blättert. Herrn Akhmadov müsse man nicht unbedingt sagen, wie ein Hammer aussieht, sagt Wiegel.
Zelimkhan Akhmadov gibt bei seiner Frau Raissa Kaffee in Auftrag. Und bittet auf Russisch schon mal ins Wohnzimmer. Hier stehen noch einige der gutbürgerlichen Möbel von Hanfried Wiegels Eltern: dunkle Schrankwand, beiges Sofa, Couchtisch. Herr Wiegel ist hier aufgewachsen, nach dem Tod seiner Mutter stand das Haus leer. Nun lebt seit Februar die siebenköpfige Familie Akhmadov hier: 130 m², Zweieinhalbzimmer. Im Garten blühen Tulpen und ein alter Apfelbaum.
Raissa Akhmadova bringt drei Becher mit dampfendem, schwarzen Kaffee und eine Schale Süßigkeiten. Dann zieht sie sich wieder in die Küche zurück, die Kinder spielen.
Glückliche Kinder machen den Vater glücklich
Was so unkompliziert aussieht, hat einen ernsten Hintergrund. Familie Akhmadov ist seit fast zehn Jahren auf der Flucht: sechs Jahre in Polen, ein halbes Jahr in den Niederlanden, seit drei Jahren in Berlin. Auf die Frage nach dem Warum schiebt Zelimkhan Akhmadov wortlos den Pullover hoch und zeigt seinen mit großen Schusswunden-Narben übersahten Rücken. Es fällt ihm schwer, darüber zu reden, und er sagt: “Wenn wir ein gutes Leben gehabt hätten, wären wir nicht weggegangen.” Es war ihm vor allem um die Kinder gegangen.
Die drei älteren der fünf Kinder gehen zur Schule. Sohn Akraman macht am liebsten Sport: “Ich spiele auch in der Schule Handball, Fußball, bin in der Turn- und in der Leichtathletik-AG, und manchmal gehe ich auch zum Basketball.”
Sein neues Zuhause genießt der 11-Jährige genauso wie seine Schwestern Heda und Zareta, die den Garten lieben und das lärmige Wohnheim nicht vermissen.
Seine Kinder in dem Lankwitzer Häuschen so glücklich zu sehen, macht wiederum ihren Vater glücklich. Zelimkhan Akhmadov wohnt aber auch gerne hier. Zum einen genießt auch er die Ruhe, zum anderen die große Wohnfläche, wo jeder sein eigenes Zimmer haben kann und die Kinder in Ruhe ihre Hausaufgaben machen können. Im Heim war das Akhmadovs größte Sorge.
Ein sehr menschliches Wohnangebot
Vermieter Hanfried Wiegel hört über seinem Kaffee aufmerksam zu und lächelt. So hat er es sich gewünscht: dass Flüchtlinge hier in diesem Haus – zumindest für eine Zeit lang – glücklich sind. Denn seine Mutter war selbst ein Flüchtling: Sie kam 1945 mit dem letzten Zug aus dem damaligen Schlesien. Auf der Flucht vor der den russischen Truppen. Der Vater verließ seine Heimat in der Altmark, noch vor dem Mauerbau.
Diese Familiengeschichte hatten Hanfried Wiegel und sein Bruder im Hinterkopf, als sie ihr früheres Elternhaus der Wohnungsvermittlung für Flüchtlinge anboten: “Wir haben uns selber als Flüchtlingskinder verstanden, unsere Eltern waren sehr sozialorientierte Menschen und wir brauchen weder das Haus noch das Geld aus der Miete.”
Es ist nicht so, dass Hanfried Wiegel im Geld schwimmt. Der Sozialarbeiter betreibt einen ambulanten Pflegedienst. Für die siebenköpfige Familie Akhmadov zahlt das Amt knapp 1.000 Euro warm im Monat. Auf dem privaten Markt könnten die Brüder Wiegel für ihr schönes Häuschen das Doppelte kassieren.
Beinahe hätten sie das auch gemacht. Denn vor den Akhmadovs hatten sich mehrere andere Flüchtlingsfamilien das Haus angesehen und abgelehnt. Die Akhmadovs allerdings sagten gleich begeistert “ja”. Und Hanfried Wiegel hatte ein gutes Gefühl.
Nationalität hat nichts mit der Seriosität der Mieter zu tun
Knapp 70 private Vermieter haben seit dem Senats-Aufruf im November ihre Wohnungen an Flüchtlinge vermietet. Viele Anbieter allerdings, heißt es in der Vermittlungsstelle, hätten sehr klare Vorstellungen davon, wen sie gerne als Mieter wollten: am liebsten englischsprachige Syrer mit akademischem Hintergrund. Hanfried Wiegel kann das einerseits verstehen. Aber sein Bruder und er haben ganz andere Erfahrungen gemacht: “Mein Bruder hat auch Erfahrungen als Vermieter, wo er mit ausschließlich Deutschen ganz fürchterliche Sachen erlebt hat. Dass die Nationalität etwas mit der Seriosität zu tun haben soll, konnte ich bisher nicht beobachten.”
Beitrag von Sylvia Tiegs
Stand vom 16.05.2015
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