Spuren des aktuellen Mords an einem tschetschenischem Konsul in der Türkei zeigen nach Russland
Vor dem Hintergrund der Vorgänge um die tschetschenischen Brüder Tamerlan und Dschochar Tsarnaev, die beschuldigt werden, die terroristischen Anschlägen während dem Boston-Marathon verübt zu haben, und des Mordes eines weiteren Tschetschenen, Ibragim Todaschew, der in Verbindung mit den Brüdern stand, blieb der Mord eines Tschetschenen in der Türkei unbemerkt. Medet Ünlü, Honorarkonsul der Tschetschenischen Republik Itschkeria, wurde in der türkischen Hauptstadt Ankara ermordet. Ünlü war Achmed Sakajews Repräsentant in der Türkei und ein offizieller Repräsentant der Tschetschenen, die die Unabhängigkeit anstreben.
Ünlü wurde im Büro des Repräsentanten der Tschetschenischen Republik Itschkeria ermordet, die Position, die er innehatte. Überwachungskameras hatten zwei Verdächtige auf dem Parkplatz in der Nähe des Büros aufgenommen. Gemäß den Ermittlern hatten die Verdächtigen vorgegeben, sie seien tschetschenische Geschäftsmänner und hatten einen Termin für einen Abend mit ihm vereinbart, an dem er allein war. Einer von ihnen wartete im Auto, während der Andere den Diplomaten mit einer Waffe erschoss, die mit einem Schalldämpfer ausgestattet war. Murat Aluç, ein türkischer Bürger, der in der türkischen, kriminellen Unterwelt als Onkel Murat (“Dayı Murat”) bekannt ist, war in Verbindung mit dem Mord auf der Fahndungsliste der Polizei, als er nach der Tat verschwand. Aluç wurde schon einmal zu 2 Jahren Haft verurteilt, da er in organisierte Verbrechen involviert war.
Währenddessen hatte die türkische Polizei 3 Tatverdächtige eingesperrt, jedoch wurde einer von ihnen, der Mörder selbst, nach einer kurzen Befragung freigelassen. Der Name des Mörders war Ruslan Kemal, a.k.a. Rizvan E., ein ethnischer Tschetschene, dessen vollständigen Namen die türkischen Ermittler nicht enthüllten. Mehrere Tage nach seiner Freilassung hatte die Polizei festgestellt, dass er der Organisator des Mordes war. Die Ermittler waren jedoch nicht mehr in der Lage, ihn aufzuspüren. Die Ermittler entdeckten, dass der Mörder 30.000 türkische Lira ($ 16.000) für den Mordauftrag erhielt. Laut der türkischen Zuwanderungsbehörde flog der Tatverdächtige Ruslan Kemal nach Russland, sobald er freigelassen wurde. Türkische Behörden hatten Moskau darum gebeten, ihn zu finden und auszuliefern. Ungleich vorangegangener Fälle von Morden an Tschetschenen in der Türkei, hatten die Mörder diesmal einen ermordet, der Kontakte hatte zum Premierminister des Landes und zu anderen wichtigen, türkischen Politikern. Es wäre also möglich, dass die Polizei sich ernsthaft bemüht, den Fall zu lösen. Sollten einflussreiche Personen aus Russland in den Fall verwickelt sein, werden die türkischen Behörden jedoch nicht gewillt sein, ihre Beziehungen zu Moskau zu gefährden wegen eines Mordes an einem tschetschenischen Aktivisten.
Medet Ünlü war ein ethnischer Tschetschene und ein Nachfahre der Tschetschenen, die zum Ende des 19. Jahrhunderts ins Osmanische Reich umsiedelten. Er wurde in der tschetschenischen Kleinstadt Çardak, die zur türkischen Provinz Kahramanmaraş gehört, geboren. Ünlü war ein erfolgreicher Geschäftsmann und half Befürwortern der tschetschenischen Unabhängigkeit zwei jahrzehntelang. Es überrascht nicht, dass Ünlü’s Familie sofort Ramsam Kadyrow als Hintermann beschuldigte. Achmed Sakajew, politischer Emigrant in London und ein langjähriger, tschetschenischer Unabhängigkeitsaktivist, beschuldigte den russischen Staatssicherheitsdient des Mordes an Ünlü.
Ünlü’s Mord entfachte einen Sturm der Entrüstung in der kaukasischen Gemeinde der Türkei und es gab Proteste vor dem Russischen Konsulat in Istanbul und der Russischen Botschaft in Ankara. Die Protestanten beschuldigten Russland, den Mord orchestriert zu haben. Das türkische Fernsehen berichtete über viele Organisationen, die mit der tschetschenischen Diaspora in der Türkei zusammenarbeiten. Ein Mitglied des Türkischen Komitees für Verbindungen mit dem Kaukasus, Mehdi Nüzhet Çetinbaş, äußerte, dass der Mord an Ünlü darauf abzielte, die kaukasische Diaspora in der Türkei und die Flüchtlinge aus dem Kaukasus einzuschüchtern.
Das ist nun schon der zweite türkische Bürger tschetschenischer Abstammung, der sich in den letzten Jahren für die Belange der Tschetschenen einsetzte, die für die Unabhängigkeit waren, und ermordet wurde. Davor wurde der Leiter des Tschetschenischen Komitees Necdet Gün in seinem Haus angegriffen und ermordet. Beide Opfer waren Mitglieder der tschetschenischen Diaspora, die nach dem Russisch-Kaukasischen Krieg des 19. Jahrhunderts in die Türkei umgesiedelt sind.
Es sollte insbesondere erwähnt werden, dass seit dem zweiten Russisch-Tschetschenischen Krieg im Jahre 1999 sechs Tschetschenen und ein Karatschaier, der die Interessen des – virtuellen – Kaukasischen Emirats (bewaffneter Widerstand im Nordkaukasus) vertrat, ermordet wurden.
Am 16. September 2008 wurde ein früherer tschetschenischer Militant, Gaji Edilsultanov, in Istanbul ermordet – ein Fall, der breit diskutiert wurde im türkischen Fernsehen und den Medien. Ein Killerteam aus 3 Personen kam am Istanbuler Flughafen aus Russland an und verließ das Land umgehend nach dem Mord. Einer von Ihnen wurde sogar verletzt bei diesem Anschlag.
Am 9. Dezember 2008 wurde der frühere, tschetschenische Kriegsveteran Islam Janibekov ermordet. Am 27. Februar 2009 wurde der frühere Feldkommandant Musa Ataev durch 3 Kopfschüsse in Istanbul ermordet. Am 16. September 2011 wurden 3 Mitglieder der tschetschenischen Diaspora in der Türkei, Bergh-Khazh Musaev, Rustam Altemirov und Zaurbek Amriev mitten in Istanbul erschossen. Musaev war mutmaßlich ein Verbündeter des Anführers des sogenannten Kaukasus-Emirats Doku Umarow. Türkische Medien sahen in allen Mordfällen Spuren nach Russland. Am 8. Oktober 2011 wurde ein Mordanschlag auf den früheren Vorsitzenden des Obersten Scharia-Gerichtshofs von Itschkeria, Shamsuddin Batukaev, verübt. Auch hier gab es eine Verbindung nach Russland. Das Gemetzel zeigt, dass es sich nicht um einfache Auseinandersetzungen innerhalb der Diaspora handelt, sondern um eine gezielte Aktion der russischen Behörden gegen Immigranten aus dem Nordkaukasus in der Türkei, die gegen die russische Politik im Nordkaukasus waren.
Der schamlose Mord an einem türkischen Bürger in der türkischen Hauptstadt, der sich für die tschetschenischen Belange einsetzte, ist nichts weiter als eine Machtdemonstration derer, die die Tschetschenen im Ausland zum Schweigen bringen wollen. Jegliche politische Aktivitäten im Ausland, die den Nordkaukasus betreffen, werden von den russischen Behörden nervös beäugt. Russland unternimmt alles, um jeden einzuschüchtern, der mit der Politik im Nordkaukasus – insbesondere in Tschetschenien – unzufrieden ist. Dieser aktuelle Kriminalfall war sicher nicht der Letzte. Solange die türkischen Behörden keine klare Stellung beziehen zu den politischen Morden von tschetschenischen Aktivisten, werden die Mächte, die gegen die Aktivisten im Nordkaukasus kämpfen, z.B. der russische Staatssicherheitsdienst, weiterhin alles in ihrer Macht stehende tun, um die tschetschenischen Separatisten, die in die Türkei geflohen sind, zu schwächen. Aus diesem Grund werden sich Morde an Tschetschenen in der Türkei immer wieder ereignen.
Mairbek Vatchagaev
Eurasia Daily Monitor Volume: 10 Issue: 107
6. Juni 2013 – The Jamestown Foundation
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