Wer sind die Tschetschenen?
Wer sind die Tschetschenen?
“Die Tschetschenen brauchen ihre Freiheit, ohne sie würden sie ihre menschliche Würde verlieren und wären keine Tschetschenen mehr”.
Dolkhan Khojaev
Die Tschetschenen sind die Ureinwohner des zentralen Nordost-Kaukasus. Sie bezeichnen sich selbst als “Nochtschi” (die Enkelsöhne des Propheten Noah). Es gibt frühgeschichtliche Hinweise auf Tschetschenen in Quellen des antiken Griechenland, Armenien und Georgien, wo sie unterschiedentlich als Dzurdzuki, Michkizi, Burteli, Shishan, Nakhchmaty, Shibutyani, Aukhs und Kistis bezeichnet werden. Der Name Tschetschenien (oder Tschetschenya) wurde im 18. Jahrhundert vom Namen des Dorfes “Tschetschana (Tschetschan-Aul)” abgeleitet, welches 15 Kilometer südöstlich von Grosny liegt.
Wenn wir den Tyaptari Glauben schenken können, standen die alten tschetschenischen Chroniken auf Pergamentrollen geschrieben, die 1944 auf Stalins GeheiĂź verbrannt wurden. Demnach kamen die nachischen Stammesverbände aus Sumer via Urartu/Media. Im ersten Jahrhundert n. Chr. lieĂźen sich zwischen den FlĂĽssen Terek, Aksai und Argun die Lamanan-Nachen (Berg-Klans) und zwischen den FlĂĽssen Terek und Sunscha die Okharan-Nachen (Klans aus den Tälern) nieder. Im 8. Jahrhundert v. Chr. verschmolzen die Klans aus den Tälern mit den Skythen/Sarmaten, die Iranisch sprachen, und wurden zu Alanen – Vorfahren der heutigen Osseten. Die Berg-Klans grĂĽndeten eine Gemeinschaft von Klans, die sich Dzurdzuketia nannten. Sie ĂĽberlebten das frĂĽhe Mittelalter trotz der Angriffe von Khasaren, Hunnen, Araber, Perser, Mongolen und anderen.
Als Tamerlan im 14. Jahrhundert den Kaukasus erreichte, müssen die Tschetschenen so leidenschaftlich gekämpft haben, dass Tamerlan sich bemühte, sie als seine Verbündeten zu gewinnen und ihnen ein schönes Schwert präsentierte. Der Sage zufolge fragte Tamerlan seinen Kommandeur: “Ist es wahr, dass ihr die Tschetschenen bezwungen habt, so dass ihre Witwen weinen und klagen” – “Nein, mein Herr” musste der Offizier zugeben. “Sie spielen Panduri und tanzen!” – “Dann habt ihr sie nicht besiegt!”
Woher haben die Tschetschenen diese Kraft, sich dermaßen zu widersetzen? Sie hat ihre Wurzeln in der sozialen Organisation der Nochtschitscha, bzw. der Klan-Gemeinschaften, und der persönlichen Freiheit jedes Tschetschenen. Das Vaterland der Tschetschenen war das einzige Gebiet im Kaukasus, wo feudale Strukturen sich nie durchsetzten. Sie kannten weder Prinzen noch Könige, weder Steuern noch Staatsgewalt. Sie waren freie Landwirte, die auf ihren eigenen Ländereien arbeiteten und deren einzige Verpflichtung ihre Ehre und die ihrer Familie und ihres Klans waren. Jeder Klan lebte in einer bestimmten Region, hatte seinen eigenen heiligen Berg und hatte seine eigenen Türme zur Verteidigung und für Siedlungszwecke. Auf jeder Ebene – Großfamilie (dosal), Klan (Taip), Stammesverband (Tukhum) und Land (Mochk) – gab es ein Gremium der Stammesältesten, um soziale und politische Angelegenheiten zu klären (wobei das Ansehen ein entscheidender Faktor war bei der Wahl von Mitgliedern, vielmehr als das Alter). Das System basierte auf dem Gewohnheitsrecht, dem “adat”, welches im ganzen Kaukasus Anwendung fand. Es verlangte Respekt für die Älteren, Frauen und Kinder, Gastfreundschaft und soziale Gerechtigkeit. Es schrieb ebenfalls vor, dass die Natur geschützt wird, die Tiere nicht beim Grasen gejagt werden und die Entscheidung der Gemeinde erforderlich war, um einen früchtetragenden Baum zu fällen. Es bildete zudem die Grundlage für die Rechtsprechung, Blutfehden und alle sozialen Belange. Die größte Tugend war die Verteidigung der eigenen Familie, die Grabsteine der Toten, das Land und die Freiheit. Das Reiten und der Einsatz von Waffen wurden bereits in der Kindheit gelehrt. Alle tschetschenischen Grüße beinhalten das Wort “Freiheit”.
Vor der Okkupation durch die russische Armee war Tschetschenien eine moderne Gesellschaft mit unabhängig gesinnten Frauen, die an Universitäten studierten und ihre eigenen Karrieren verfolgten. Insbesondere die Frauen widersetzen sich mittelalterlichen Interpretationen des Islam, welche sie dazu zwangen, gelbe Kopftücher zu tragen und sie auf ihre Rolle als Mutter und Hausfrau einschränkten. Die Aktivitäten für einen demokratischen Staat nach westlichem Standard wurden hauptsächlich von Frauen angetrieben.