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In der Antike und im frühen Mittelalter wurde das Siedlungsgebiet der Wainachen zum Berührungspunkt verschiedener expandierender Reiche: In den Höhenlagen bestand das Königreich Serir, in der nördlichen Ebene herrschten die Alanen, denen es vorübergehend gelang, die Wainachen zu unterwerfen. Dabei wurden die Alanen für einige Jahrhunderte sesshaft und übernahmen Elemente der wainachischen Kultur. Darüber hinaus wurden die Römer in der Region aktiv, später das sassanidische Persien die arabischen Kalifate, die Chasaren sowie verschiedene Nomadenstämme. Im Lauf der Jahrhunderte veränderte sich das wainachische Siedlungsgebiet entsprechend der Bedrohungslage: In friedlichen Zeiten expandierten die Wainachen in die Ebene im Norden des Kaukasus, wenn Krieg war, zogen sich die Menschen in befestigte Siedlungen in den Bergen zurück. Sie besetzten damit eine wichtige strategische Position, da mehrere Handelswege durch den Kaukasus führten.

Beginnend ab dem 10. Jahrhundert wurden die Wainachen von Georgien aus christianisiert. In dieser Zeit entstanden neben Kirchen auch zahlreiche Wohn- und VerteidigungstĂĽrme. Die Christianisierung fand im 13. Jahrhundert ihren Abschluss. Kurz darauf ĂĽberrannten die Mongolen den Kaukasus, was die Wainachen zwang, sich wieder in die Berge zurĂĽckzuziehen. Nach dem Zerfall des Timuridenreiches expandierten die Wainachen wieder in die Ebenen. Etwa zu dieser Zeit spalteten sie sich vermutlich in Tschetschenen und Inguschen auf. Die Tschetschenen entwickelten eine Stammesgesellschaft mit starken Tendenzen zur Aufsplitterung. Die Bildung eines gemeinsamen Staates gelang nie. Erst im 16. Jahrhundert war die Islamisierung abgeschlossen.

Widerstand der Tschetschenen gegen die Russische Eroberung (17./18. Jh)

Als sich Russland anschickte, nach westlichem Vorbild ein koloniales Imperium zu werden, brauchte es die zu erobernden Länder nicht in Übersee zu suchen. Sie lagen an seinen nördlichen, östlichen und südlichen Rändern. Besonders der legendäre Kaukasus rückte mehr und mehr ins Blickfeld, in Konkurrenz mit dem Osmanischen Reich und Persien. Den heftigsten Widerstand gegen die russische Eroberung leisteten die Tschetschenen, die in stammesdemokratischen Verhältnissen lebten, in denen der Verlust der Freiheit den Verlust ihrer Würde bedeutete. Expeditionen gegen die Tschetschenen und Kumücken unternahm Russland bereits im 16. Jh. unter Iwan dem Schrecklichen. Nach der Errichtung der Festung Terki 1567 entstanden auf der linken Seite des Terek die ersten Siedlungen russischer Kolonisten, wie Tschervlonnaja und andere. Doch die russischen Kriegszüge, wie 1604 und 1615, wurden zurückgeschlagen.

1707 brachen die zaristischen Truppen unter Führung des Astrachaner Wojewoden Pjotr Apraxin (gewählter Fürst) erneut in den Kaukasus auf. Sie erlitten bei dem Dorf Tschetschen eine verlustreiche Niederlage. Daraufhin wurden die Kalmücken mit der Verfolgung der Tschetschenen beauftragt. Unter ihrem Khan Ajuka wurden 1711 die Tschetschenen vom nördlichen Ufer des Terek vertrieben, ihre Dörfer abgebrannt und Kosaken angesiedelt. In der Folge waren es vor allem Kosaken, die gegen die Tschetschenen eingesetzt wurden und dafür tschetschenisches Land erhielten.

Als Peter I. mit 160.000 Mann gegen Persien zog und auf dem Wege dahin Tschetschenien und Dagestan erobern wollte, war der Widerstand der Tschetschenen und der dagestanischen Fürsten von Enderi so groß, dass Peter eine Truppe von 6.000 Mann und 400 Kosaken zur Eroberung des Dorfes entsandte. Sie erlitten große Verluste. Peter schickte als Strafaktion 10.000 Kalmücken, die mordeten und brannten, aber dennoch von den Tschetschenen geschlagen wurden. Peters Kommentar: Wenn dieses Volk etwas von Kriegskunst verstünde, wäre kein anderes in der Lage es anzugreifen!

Nach dem Pugatschov-Aufstand (1773-75) und der Eroberung der Krim (1768-74) wurde die Kaukasische Linie in Form von Festungsanlagen von Mosdok bis Asov errichtet. 1784 erfolgte die Grundsteinlegung von Wladikavkas (Beherrsche den Kaukasus!).

Zarin Katharina II. gründete 1785 das Kaukasische Gouvernement mit den Gebieten Kaukasus und Astrachan. Statthalter wurde Fürst Grigorij Potjomkin. Unter Scheich Mansur Uschurma kämpften die Tschetschenen erbittert gegen die zaristischen Expeditionen ins Innere ihres Landes. Feldzüge unter Oberst De Pieri (1785) und Potemkin (1787) endeten mit russischen Niederlagen. Erst dem neuen Befehlshaber im Kaukasus, General Tekkeli, gelang es im Oktober 1787 mit 12.000 Mann den Widerstand zu brechen. Viele Dörfer wurden verheert, Scheich Mansur floh in die Türkische Festung Sudshuk-Kale (Novorossijsk). Obwohl es Scheich Mansur, dem vielleicht ersten Prediger des asketischen Islam, des Suffismus, gelang, die Völker im religiösen Krieg gegen die Ungläubigen, dem Gasawath, zusammenzuführen, war es ein Kampf zwischen David und Goliath. 1791 eroberte General Gudowitsch die türkische Festung Anapa, Scheich Mansur wurde gefangengenommen und starb 1794 in der Schlüsselburg von St. Petersburg.

Doch der erste gemeinsame Kampf der nordkaukasischer Völker drängte die zaristischen Eroberer an die Kaukasische Linie zurück bis nach Mosdok. Ihre Garnisionen, wie Waldikavkas, Potomkinskoe u.a. gingen in Flammen auf. Scheich Mansur wurde zur Legende des antikolonialen Widerstands.

Widerstand der Tschetschenen gegen die russische Eroberung (19. Jh.)

„Der kleinste Ungehorsam – und eure Aule werden zerstört, die Familien in die Berge verkauft, die Geiseln aufgehängt, die Dörfer dem Feuer übergeben, Frauen und Kinder hingemetzelt!“
„Ich habe keine Ruhe, solange noch ein einziger Tschetschene am Leben ist!“
„Ich will, dass der Schrecken meines Namens unsere Grenzen wirkungsvoller bewacht als die Ketten von Festungen, dass mein Wort für die Eingeborenenzum Gesetz wird, absoluter als der Tod!“
A. P. Jermolov

Mit der Einverleibung Georgiens ins Russische Reich 1801 intensivierte sich der Bau der Georgischen Heerstraße als wichtigste Verbindungslinie zwischen dem Mutterland Russland und der neuen Kolonie. Die dabei störenden Dörfer wurden abgebrannt und umgesiedelt. Die russischen Kriege mit Persien, der Türkei und der Vaterländische Krieg gegen Napoleon verschafften den Tschetschenen Anfang des Jahrhunderts eine kurze Atempause.

Neues Unheil begann mit der Ernennung des Generals der Infanterie Aleksej Petrowitsch Jermolov zum Oberkommandierenden im Kaukasus. Mit dem Bau neuer Festungen sollten die Tschetschenen vertrieben und die Kaukasische Linie vom linken Ufer des Terek an den Fluss Sunscha verlegt werden. Es entstanden Nazran, Slobnij okop (Wütender Graben), Vnesapnaja (Plötzlicher Überfall), und 1818 Grosnij (Die Schreckliche) u.a. Für den Bau von Grosnij wurden die umliegenden acht Dörfer, unter ihnen Tschetschen und Sunsha, abgebrannt und dem Erdboden gleich gemacht. Die Bevölkerung wurde zu den Bauarbeiten nach dem Prinzip der „Ring-Haft“ gezwungen – Rache an der Bevölkerung für die Schuld einzelner.

Am 15. 09. 1819 fand in Dadi-Jurt eine der furchtbarsten zaristischen Strafaktionen statt. Das Dorf, eines der reichsten in Tschetschenien, wurde umstellt und beschossen. Die Bewohner, einschließlich vieler junger Mädchen und Kinder, verteidigten das Dorf und warfen sich den Bajonetten entgegen. Alle Männer kamen um. Von 140 jungen Mädchen, die in Gefangenschaft gerieten, stürzten sich 46 von der hohen Brücke in den schäumenden Terek und rissen ihre Bewacher mit. Das Massaker von Dadi-Jurt wurde zum Symbol der grausamen Epoche Jermolovs.

Ein zaristischer Offizier, der General N.N. Rajevskij lehnte die Teilnahme an den Verbrechen Jermolovs ab und schrieb an den Kriegsminister: „Ich bin hier einzig und allein gegen die nutzlosen Kriegshandlungen im Kaukasus und sehe mich deshalb gezwungen, dieses Gebiet zu verlassen. Unser Vorgehen erinnert mich an die Katastrophe der Eroberung Amerikas durch die Spanier…“

Im Kampf gegen die russischen Eroberer beteiligten sich die Tschetschenen am Heiligen Krieg der aus Dagestan stammenden Religionsführer Mohammed aus Jaraglar und Ghasi Mullah, dem ersten Imam von Dagestan. Doch erst unter Schamil, der zum Imam von Dagestan und Tschetschenien gewählt wurde, gelang es, mit der Errichtung eines straff organisierten religiösen Staatswesens von 1834 bis 1859 die Völker des Nordkaukasus zu vereinen. Die russischen Besatzer wurden aus ihren Garnisonen in Tschetschenien und Dagestan vertrieben. 1845 bereiteten die Tschetschenen unter Beisungur Benoevskij der Armee Woronzovs eine furchtbare Niederlage. Doch ab 1847 häuften sich Aufstände gegen das strenge Regime Schamils. Obwohl während des Krimkrieges 1853 bis 56 England, Frankreich und die Türkei Kanonen und Gewehre lieferten, war das Imamat der neu herangeführten Armee von 240.000 Mann nicht gewachsen. 1859 ergab sich Schamil und wurde nach Kaluga in Südrussland verbannt. Der Fall Kbaadas, der letzten Bastion der Bergbewohner, gilt als Ende des russisch-kaukasischen Krieges. 750.000 Nordkaukasier wurden in das Osmanische Reich vertrieben, wo ihre Nachfahren bis heute als Minderheiten leben. In ihren Dörfern wurden vor allem Kosaken und Armenier angesiedelt. Obwohl die Aufstände nicht abrissen, ist Tschetschenien am Ende des 19. Jh. russische Kolonie.

Widerstand der Tschetschenen gegen die russischen Eroberer (20. Jh.)

Auf die in Russland gärende revolutionäre Stimmung und die Revolution von 1905 reagierte der Zar mit polizeilicher Härte, die auch im Kaukasus zu spüren war. In Grosny wurden bei einem Streik 17 Personen getötet, als die Polizei in die Menge schoss. Hunderte Unschuldige wurden verbannt. Der Abreke (Einzelwiderstandskämpfer) Selimkhan, rächte sich dafür an den russischen Statthaltern und hielt sie bis 1913 in Atem.

1920 griff General Denikin anstelle von Moskau und Petersburg Tschetschenien an und verheerte unzählige Dörfer. Die Tschetschenen kämpften gegen ihn unter Umar Khadshi und Aslambek Scheripov. Die angeblich zur Hilfe eilenden Bolschewiki unter Ordshonokidse besetzten das Land und töteten alle tschetschenischen Führer, unter ihnen Aslambek Scheripov, und gründeten die Sowjetrepublik der Bergvölker. 1924 wurde sie aufgelöst und nach und nach die nordkaukasischen Sowjetrepubliken Karatschai-Tscherkessien, Kabardino-Balkarien, Ossetien, Tschetschenien usw. eingerichtet. Die Sowjetmacht reagierte, vor allem unter Berija, mit grausamen Repressionen gegen die nicht abreißenden Aufstände der Tschetschenen. Bis Ende der 30-er Jahre wütete Stalin und vernichtete die tschetschenische Intelligenz. Zwei Schriftreformen, die Einführung des lateinischen Alphabets in den zwanziger und des kyrillischen in den vierziger Jahren, brachen das geistige Rückrat des Volkes. Sprache und Religion wurden massiv unterdrückt. Obwohl viele Tschetschenen im Krieg gegen Deutschland die höchsten Tapferkeitsorden verdienten, wurden am 23. Februar 1944, unter dem Vorwand der Kollaboration mit Hitlerdeutschland, 550.000 Tschetschenen nach Ostkasachstan und Sibirien deportiert. 60% des tschetschenischen Volkes kamen dabei um. Die uralten auf Pergamentrollen geschriebenen tschetschenischen Chroniken, die Tjaptare, sowie Tausende tschetschenische Bücher, die Werke von Wissenschaftlern und Schriftstellern, wurden auf dem zentralen Platz von Grosny verbrannt. Nach der Geheimrede Chrustschows 1956 kehrten die Tschetschenen nach und nach zurück, wobei ihnen die Rückkehr in ihre Bergdörfer lange Zeit verboten war.

In der Perestroikazeit entstanden ähnlich wie in Georgien und den baltischen Republiken Unabhängigkeitsbewegungen. 1990 und 1991 erklärte der tschetschenische Volkskongress die Unabhängigkeit Tschetscheniens. Das erste Lenin-Denkmal stürzte in Tschetschenien, das erste KGB-Gebäude wurde in Tschetschenien besetzt. Der Fliegergeneral Dshochar Dudaev, der sich in Estland weigerte, gegen Demonstranten vorzugehen, wurde 1991 der erste Präsident des freien Tschetschenien. Alle Versuche Russlands, ihn zu stürzen und Marionettenregierungen einzusetzen, scheiterten. In zwei furchtbaren Kriegen 1994 bis 96 und seit 1999 wurde Tschetschenien vollständig zerstört. Nach Schätzungen internationaler Menschenrechtsorganisationen starben 200.000 Zivilisten, ebenso viele wurden verwundet, wurden Krüppel, Witwen, Waisen. Die Stadt Grosny mit 300.000 Einwohnern wurde vollständig zerstört. Museen, Bibliotheken, drei Theater, wertvolle Kunstsammlungen, die Universität, das Erdölinstitut, – es wurde alles vernichtet. Das Elend Hundertausender Flüchtlinge ist unbeschreiblich.

Vielleicht gab es zwischen den beiden Kriegen die Chance, mit einer Anerkennung und Unterstützung des unter der Ägide der O.S.Z.E gewählten und damals auch von Russland anerkannten Präsidenten Maschadov das Land zu befrieden und wieder auf zu bauen. Diese Chance haben die westlichen Regierungen nicht genutzt. Mit den Verbrechen des zweiten Krieges ist das Volk gänzlich entwurzelt und seiner Lebensmöglichkeiten beraubt. Die täglichen Verbrechen der marodierenden, raubenden, folternden, mordenden russischen Armee an der tschetschenischen Zivilbevölkerung provozieren das Entstehen unberechenbarer
Rächerbanden, die mit islamistischer Unterstützung bereit sind, sich als lebende Bomben ebenso gegen zivile Ziele einsetzen zu lassen. Der tschetschenische Präsident Abdul-Khalim Sadulaev verurteilte Terroranschläge gegen Frauen, Kinder und Zivilisten. Der jetzige Ministerpräsident Achmed Sakajew setzt den Widerstand gegen die russischen Besatzer fort. Russland kann diesen Krieg nicht gewinnen, der den gesamten Kaukasus in Brand setzen wird.

Deportation der Inguschen und Tschetschenen am 23. Februar 1944

Offizieller Grund für die Deportation der Karatschai, Inguschen, Tschetschenen und Balkaren war der Vorwurf, die Sowjetunion nicht ausreichend genug gegen die Hitlertruppen verteidigt oder sogar mit ihnen kollaboriert zu haben. Der tatsächliche Grund war die Existenz oppositioneller Banden, die sich aus Deserteuren und Wehrdienstverweigerern rekrutierten und mit Überfällen auf sowjetische Behörden, Militärstützpunkte und Kolchosen die Region destabilisierten. Von den insgesamt 1.667.000 Deserteuren der Jahre 1941 bis 1943 und denen, die sich dem Wehrdienst entzogen, entfielen 62.751 auf den Nordkaukasus und 1944 noch einmal ca. 10.000. In Karatschai existierte ein illegales Nationalkomitee und ein illegaler Militärstab, in Tschetschenien eine illegaler Kongress der kaukasischen Bergvölker unter Israilov und Terloev. Sie kommandierten ca. 24.000 Tschetschenen und Inguschen und unterhielten Kontakte mit den Führern zweier deutscher Fallschirmeinheiten, die hinter der sowjetischen Front agierten.

Die Deportation der Inguschen und Tschetschenen wurde am Tag der Roten Armee, am 23. Februar 1944, festgelegt. An der Aktion nahmen 100.000 Soldaten und 19.000 Offiziere teil. Perfider Weise wurden sie zuvor unter dem Vorwand einer militärischen Übung in allen Dörfern und bei allen Familien einquartiert und als Gäste der gastfreundlichen Tschetschenen bewirtet und versorgt. Am Tag der Armee fanden in jedem Ort Festversammlungen statt, an denen alle Männer teilnehmen mussten und nichts ahnend in Sonntagskleidung und ohne Waffen erschienen. Direkt von den Versammlungen wurden sie auf LKW’s verladen und zu den Bahnhöfen gebracht und ihre Familien aus den Häusern gejagt. Alle, die Widerstand leisteten, wurden erschossen. Nach Berichten des russischen Geheimdienstes NKWD waren es 7200. Erschossen wurden auch viele Alte und bettlägerige Kranke. Am nächsten Morgen waren die Dörfer wie ausgestorben, die Tiere brüllten hilflos in den Stallungen.

Die Deportierten wurden in ungeheizten Viehwaggons verladen und wochenlang transportiert. Alle 24 Stunden hielt der Zug. Die den Tschetschenen heiligen Toten wurden den Bahndamm herabgeworfen. In Ostkasachstan und Sibirien mussten die Menschen sich Notunterkünfte schaffen und sich selbst versorgen, immer unter Bewachung der örtlichen Verwaltungen, die jede Bewegung kontrollierten. Von den 550.000 deportierten Tschetschenen kamen nach den Archivberichten des NKWD 260.000 um.

In die leerstehenden Gehöfte und Gärten wurden nutzlose Esser einquartiert, zum Beispiel Waisenkinder aus Moskau, was Anatoli Pristavkin in seinem Roman „Es schlief ein goldenes Wölkchen“ beschreibt. Die Sowjetrepublik Tschetscheno-Inguschetien gab es nicht mehr, viele Ortschaften wurden per Dekret des Obersten Sowjet umbenannt und das Land an die angrenzenden Republiken aufgeteilt.

Die Deportation schlug wie ein Blitz ein in das Sowjet-Tschetschenische Bewusstsein. Zum Symbol für die genozidale russische Politik wurde das Bergdorf Chaibach, im Herzland der Tschetschenen gelegen. Die ca. 700 Einwohner, unter ihnen Schwangere, Hundertjährige, Kleinstkinder, wurden in einen großen Pferdestall getrieben und lebendigen Leibes verbrannt. Der Kolchos des Dorfes trug wie ein böses Omen den Namen des Hauptinitiators der Deportation – „Lawrenti Berija“. Der erhielt folgendes Telegramm:

An das Volkskommissariat fĂĽr Inneres der UdSSR Genossen
L.P. Berija.

Nur an Sie persönlich. Angesichts der Unmöglichkeit des Transports und mit dem Ziel der fristgemäßen Erfüllung der Operation „Berge“ war ich gezwungen, die mehr als 700 Einwohner des Dorfes Chaibach zu liquidieren.

Grosny, Behörde für Inneres, Oberstleutnant Gweschiani.

Die Antwort aus Moskau lautete:

Für das entschlossene Handeln im Zuge der Aussiedlung der Tschetschenen im Gebiet Chaibach sind Sie für eine staatliche Auszeichnung mit Beförderung vorgeschlagen.

Herzlichen GlĂĽckwunsch,
NarKom fĂĽr Inneres der UdSSR L. P. Berija.

Nach der Geheimrede Chrustschows auf dem XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion 1956, in der ein Teil der Verbrechen Stalins benannt wurden, kehrten die Tschetschenen nach und nach in ihre Heimat zurĂĽck. In den Koffern trugen sie die Gebeine ihrer Verstorbenen, die zum StraĂźenbau verwendeten Grabsteine richteten sie wieder auf.

Nur in ihre Bergdörfer durften sie lange Zeit nicht zurück. Das unsägliche Leid der Deportation presste die Tschetschenen zusammen. Sie führte, besonders unter dem Sufi-Orden der Qaddirye, zur einer Erneuerung des Islam und zur Entstehung eines gemeinsamen tschetschenischen Nationalbewusstseins.

Der Erste Tschetschenienkrieg 1994 – 1996

„Nehmt Euch soviel Souveränität wie ihr vertragen könnt …“
B. Jelzin

Mit den Lockerungen der Perestroika unter Gorbatschow entstanden in Tschetschenien, ähnlich wie im Baltikum und im Südkaukasus, neue Parteien und Bewegungen, die alle in einem Ziel übereinstimmten: der Befreiung von der russischen Kolonialherrschaft. Die damals einflussreichste Partei war die Grüne Bewegung Tschetscheniens mit ihrem Vorsitzenden Dr. Ramsan Goitemirow. Im November 1990 und am 8. Juni 1991 wurde auf zwei tschetschenischen Nationalkongressen von mehr als
1.000 in allen Regionen gewählten Delegierten die Unabhängigkeit Tschetscheniens beschlossen. Der General der sowjetischen Luftstreitkräfte, Dschochar Dudaev, der sich in Estland geweigert hatte, gegen Demonstranten vorzugehen, wurde zum Vorsitzenden gewählt. Er löste am 1. September den Obersten Sowjet Tschetscheniens auf und ließ alle Schlüsselstellen der Macht von der Nationalgarde besetzen. Am 27. 10. 1991 wählte Tschetschenien ein neues Parlament und bestimmte mit großer Mehrheit Dudaev zu ihrem Präsidenten. Am 8. 11. 1991 erklärte Dudaev die Souveränität und Unabhängigkeit Tschetscheniens. Tschetschenien unterschrieb 1992 den Föderationsvertrag mit Russland nicht und gehörte nicht mehr zu Russland. 1992 trat die mit Hilfe von Juristen aus dem Baltikum erarbeitete erste Tschetschenische Verfassung in Kraft.

Alle Versuche Moskaus, mit militärischer Unterstützung der kommunistischen Opposition, d.h. der ehemaligen Kommunisten, mit einer Wirtschaftsblockade und der Sperrung aller Verbindungswege Dudaev zu stürzen, misslangen. Mit Hetzkampagnen in den russischen Medien wurde der Krieg vorbereitet, der am 11. Dezember 1994 begann.

Eine der modernsten Armeen der Welt schoss und bombardierte die tschetschenischen Dörfer und die Stadt Grosny. Mehr als 460.000 Menschen flohen in die angrenzenden Republiken, vor allem nach Inguschetien und Dagestan. Traurige Höhepunkte waren die Massaker von Samaschki mit der Folterung und Ermordung von 94 Zivilisten und die Eroberung von Bamut, bei der Mehrfachraketenwerfer das gesamte Dorf zerstören. Ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung wurden die Bergdörfer im Süden Tschetscheniens bombardiert, international geächtete Waffen eingesetzt wie Vakuumbomben, Splitterbomben und Entlaubungsgifte. Die Luftangriffe wurden gestoppt durch zwei terroristische Akte: Der Geiselnahmen in Budjunnowsk im Juni 1995 und in Pervomaiskoe im Januar 1996. Die Waffenstillstandsverhandlungen, die es seit 1995 gab, wurden immer wieder von Jelzin torpediert, der gegen die Vereinbarungen mit Dudaev den ehemaligen 1. Sekretär der Kommunistischen Partei, Doku Savgaev, als Gegenpräsidenten in Tschetschenien einsetzte, Pseudo-Wahlen durchführen ließ und ein Abkommen über den Status
Tschetscheniens innerhalb der Russischen Föderation schloss.

Am 22. April wurde der erste tschetschenische Präsident Dschochar Dudaev von einer Cruise-Missile-Rakete getötet und der tschetschenische Dichter Selimchan Jandarbiev zu seinem Nachfolger bestimmt. Während Janderbiev und der damalige russische Ministerpräsident Tschernomyrdin im Kreml ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichneten, flog Jelzin nach Grosny, verkündete den Sieg über die tschetschenischen Rebellen und kündigte Parlamentswahlen an.

Doch den Pseudo-Parlamentswahlen der Marionettenregierung folgte im August 1996 eine tschetschenische Großoffensive, vor allem auf Grosny, wo 1.000 russische Soldaten eingeschlossen wurden. Die Bombardierung und Beschießung Grosnys führte noch einmal zur Flucht tausender Zivilisten. Doch der Vormarsch der Tschetschenen war nicht mehr aufzuhalten. Der zum Tschetschenienbeauftragten ernannte General Lebed verhinderte die totale Niederlage der russischen Armee und unterzeichnete am 31. 08. in Chassaw-Jurt (Dagestan) ein Abkommen über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Russischen Föderation und der Tschetschenischen Republik. Die russischen Truppen zogen ab. Trotz Sabotageakten wie die Ermordung von sechs Mitarbeitern des Internationalen Roten Kreuzes in Nowye Atagi, fanden am 27. 01. 1997 unter der Ägide der O.S.Z.E Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt. Unter der Aufsicht von 72 Wahlbeobachtern und 200 Journalisten wurde Aslan Maschadov mit 59,3 der Stimmen in das Präsidentenamt gewählt. Jelzin gratulierte per Telefon.

Am 12. Mai 1997 wurde in Moskau von den Präsidenten Maschadov und Jelzin ein Friedensvertrag unterzeichnet und damit indirekt die Souveränität Tschetscheniens anerkannt.

Doch das Land war fast vollständig zerstört, die Bevölkerung entwurzelt. Durch die Kampfhandlungen starben ca. 100.000 Zivilisten. Der Krieg ließ mindestens doppelt soviel Verwundete, Krüppel, Witwen und Waisen zurück. Der im Friedensvertrag vereinbarte Wiederaufbau Tschetscheniens erfolgte nicht, ebenso wurden über 70 weitere mit Russland abgeschlossene Verträge nicht erfüllt, statt dessen mit Diversionsakten des russischen Geheimdienstes der Krieg als kalter Krieg weitergeführt. Maschadov war mit der Nachkriegssituation überfordert, verlor an Ansehen und war nach kurzer Zeit mit einer politisch-religiösen Opposition konfrontiert, die trotz ihres terroristischen Potentials von Moskau unterstützt wurde. Ohne Hilfe von Russland und der Weltgemeinschaft war Präsident Maschadov zum Scheitern verurteilt, ein zweiter Tschetschenienkrieg vorprogrammiert.

Chronik von der Unabhängigkeit Tschetscheniens bis zum Ende des 1. Tschetschenienkrieges

1990

23. – 25. 11. 1. Tschetschenischer Nationalkongress in Grosny, 1.000 Delegierte beschließen die Unabhängigkeit Tschetscheniens.

1991

8. 06. Gesamtnationaler Kongress des tschetschenischen Volkes, der ehemalige General der sowjetischen Luftstreitkräfte, Dschochar Dudaev, wird zum Vorsitzenden gewählt.

August Putschversuch in Moskau, Dudaev unterstĂĽtzt Gorbatschow und Jelzin.

1. 09. der Gesamtnationale Kongress löst per Dekret den Obersten Sowjet Tschetscheniens auf, alle Schlüsselstellen der Macht werden von der Nationalgarde Dudaevs besetzt, das Lenindenkmal in den Fluss gestürzt, ein Provisorisches Republikkomitee eingesetzt; die Partei des Islamischen Weges (Beslan Gantimirov) unterstützt mit 7.000 Kämpfern Dudaev; der gestürzte Oberste Sowjet wird von Jelzin als Provisorischer Sowjet eingesetzt.

5. 10. die Nationalgarde stĂĽrmt das KGB-Hauptquartier in Grosny; Moskau verlangt daraufhin die Entwaffnung der Nationalgarde Dudaevs.

27. 10. Wahl eines neuen Parlaments und Dudaevs zum Präsidenten

8. 11. Dudaev erklärt die Souveränität und Unabhängigkeit Tschetscheniens.

1992

12. 03. In Kraft treten der neuen Verfassung

31. 03. Putschversuch der unter Ruslan Chasbulatov in Moskau gebildeten Gegenregierung scheitert; Tschetschenien verweigert die Unterschrift unter den Föderationsvertrag.

Ab Mai Wirtschaftblockade, Einfrierung aller tschetschenischer Konten, Sperrung aller ZufahrtsstraĂźen und des Flugverkehrs

Juni die 12. motorisierte Infanterieausbildungsdivision verlässt Tschetschenien

Dez. u. Jan. 93 Vorschläge Dudaevs zur Abtretung einer Reihe von Souveränitätsrechten an Russland und zum Beitritt der GUS

1993

April Auflösung des Parlaments durch Dudaev

Dezember missglĂĽckter Putschversuch der Opposition

1994

Ab Mai unterstĂĽtzt Russland offen die Opposition. Doch alle bewaffneten Angriffe gegen die Dudaev-Regierung scheitern.

11. 12. Russische Panzereinheiten dringen in Tschetschenien ein.

19. 12. Beginn der Bombardierung Grosnys, viele Opfer unter der Zivilbevölkerung, ca. 280.000 Menschen fliehen aus der Stadt.

31. 12. Ungesicherter Sturmangriff russischer Panzer auf das Stadtzentrum von Grosny; Hunderte Panzer werden von den Tschetschenen in Brand gesetzt und erobert.

1995

18. 02. Beginn einer russischen GroĂźoffensive auf Gudermes, Argun und Schali

7. / 8. April Massaker von Samaschki, Einsatz von Vakuumbomben, Splitterbomben und Entlaubungsgiften; Folterung und Ermordung von 94 Zivilisten

14. 04. Angriff und Eroberung von Bamut, 400 Kämpfer werden getötet; Übergang Dudaevs zum Guerillakrieg

14. – 17. 06 Schamil Bassaev nimmt in der südrussischen Stadt Budjonnowsk ca. 1.000 Geiseln und verschanzt sich mit ihnen im Krankenhaus. Die Geiselnehmer fordern ein Ende der Bombardierung der tschetschenischen Bergdörfer. Zwei gewaltsame Befreiungsaktionen scheitern und fordern 123 Menschenleben. Der folgende Friedensprozess wird vor allem durch Jelzin torpediert.

1. 11. Jelzin ernennt den ehemaligen 1. Sekretär der Kommunistischen Partei Doku Sawgaev zum Präsidenten von Tschetschenien.

20. 11. und 4. 12. Anschläge auf Sawgaev und den Sitz der Moskauer Marionettenregierung

8. 12. Moskau beschließt mit Doku Sawgaev eine Abkommen über den Status Tschetscheniens innerhalb der Russischen Föderation und bricht damit die Vereinbarungen mit Dudaev.

17. 12. Pseudo-Parlamentswahlen in Tschetschenien. Angeblich erhielt Doku Sawgaev 65% der Stimmen und wird zum Präsidenten gewählt.

14. – 25. 12. Schwere Kämpfe um Gudermes

1996

9. 01. Misslungener Angriff auf einen russischen Flugplatz in Dagestan unter Salman Raduev, anschließend Geiselnahme von 3.000 Geiseln in Kisljar und Verschanzung im Krankenhaus. Raduev handelt mit den Dagestanern den Abzug seiner Kämpfer gegen die Freilassung der Geiseln aus.

15. – 17. 01 Ohne Rücksicht auf die Geiseln, setzt Russland in Pervomaiskoe Artillerie, Panzer, Infanterie, Kampfhubschrauber,
Mehrfachraketenwerfer und Flächenfeuerwaffen gegen Raduev ein, dem es trotzdem gelingt, mit 75 Geiseln in die Berge zu entkommen.

22. 04. Der erste tschetschenische Präsident Dschochar Dudaev wird von einer Cruise-Missile-Rakete getötet, der Dichter Selimchan Jandarbiev zu seinem Nachfolger bestimmt.

27. / 28. 05. Unterzeichnung eines Waffenstillstandsabkommens im Kreml von Jandarbiev und Tschernomyrdin. Zur selben Zeit fliegt Jelzin nach Grosny, bezeichnet Doku Sawgaev als einzigen rechtmäßigen Präsidenten Tschetscheniens, verkündet den Sieg über die tschetschenischen Rebellen und kündigt Parlamentswahlen an.

14. – 16. 06. Pseudo-Parlamentswahlen der Marionettenregierung

Ab 6. 08. Tschetschenische GroĂźoffensive, vor allem auf Grosny, wo 1.000 russische Soldaten eingeschlossen werden. Bombardierung und BeschieĂźung Grosnys. Tausende Zivilisten versuchen zu fliehen.

31. 08. Unterzeichnung eines Abkommens über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Russischen Föderation und der Tschetschenischen Republik in Chassaw-Jurt (Dagestan) durch Maschadov und Alexander Lebed im Beisein von Tim Guildemann, dem Vorsitzenden der O.S.Z.E.-Mission in Grosny

17. 12. Ermordung von 6 Mitarbeitern des IKRK in Nowye Atagi

1997

27. 01. Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Tschetschenien, die von der O.S.Z.E für 350.000 $ vorbereitet worden waren. Unter der Aufsicht von 72 Wahlbeobachtern und 200 Journalisten wird Aslan Maschadov mit 59,3% der Stimmen Präsident.

12. 05. Unterzeichnung eines Friedensvertrages zwischen den Präsidenten Maschadov und Jelzin in Moskau

Der Zweite Tschetschenienkrieg seit 1999

„Man muss sie (die Tschetschenen) wie Ungeziefer vernichten!“
„Wir werden sie in allen Ecken der Welt verfolgen und sie sogar in den Toiletten ertränken!“
V. Putin

Der zweite russische Krieg in Tschetschenien hatte vier wichtige Gründe. Er war erstens eine unmittelbare Reaktion auf die amerikanischen Bombardements in Jugoslawien, die Russland als Weltmacht ignorierten. Zweitens war er Revanche für die schmachvolle Niederlage der russischen Armee 1996. Drittens ist nach Aussagen Putins, die von vielen russischen Generälen wiederholt wurde, dieser Krieg die Wiedergeburt der russischen Armee und der russischen Nation und der Versuch, das russische Nationalgefühl nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu schüren. Viertens und nicht zuletzt wurde der KGB/FSB-Mitarbeiter Wladimir Putin durch diesen Krieg Präsident von Russland.

Der Einmarsch des tschetschenischen Feldkommandeurs Schamil Bassaev in Dagestan, mit oder ohne Hilfe des FSB, war willkommener Anlass für den Beginn der militärischen Operationen. Für die Beteiligung des FSB an den Bombenanschlägen auf Moskau und Wolgadonsk gibt es keine Beweise aber viele Indizien. Weder Indizien, noch Beweise gibt es für eine tschetschenische Schuld.

Zunächst wird aus der Luft gebombt und ganz Tschetschenien aus sicherem Abstand unter Artillerie-Beschuss genommen – ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung. Am 10. Oktober 1999 fliegen drei Boden-Boden-Raketen auf Grosny: die eine trifft den belebten Markt, es gibt 167 Tote und unzählige Verletzte; die zweite trifft die einzige Geburtsstation von Grosny: 27 Tote; die dritte landet in einem Vorort und trifft mehrere bewohnte Häuser. Hundertausende Flüchtlinge strömen, von Hubschraubern beschossen, in die Nachbarrepubliken Inguschetien, Dagestan und über das Gebirge nach Georgien. Dann wird die tschetschenische Ebene mit Panzern überrollt. Die Tschetschenische Regierung wählt einen Verteidigungsrat und zieht sich im Februar 2000 mit fast allen Kämpfern in die Berge zurück. Dabei kommen beim Überqueren eines Minenfeldes Hunderte ums Leben. Die ohnehin seit dem ersten Krieg nur aus Ruinen bestehende Stadt Grosny wird restlos zerstört, ebenso weitere 15 größere Dörfer. Der Kampf wird vor allem aus der Luft geführt und trifft Alte, Kranke und Arme, die entweder keine Mittel oder keine Möglichkeiten zur Flucht hatten.

Im Unterschied zum ersten Krieg nehmen die Bombardements keine RĂĽcksicht auf die Industrieanlagen. Hochgiftige Chemikalien sickern ĂĽbers Grundwasser in die Sunscha. Ă–lanlagen brennen und erzeugen einen beiĂźenden Rauch.

Ein weiterer Unterschied zum ersten Krieg ist die weitgehende Abschirmung von Journalisten und Beobachtern. Die Propagandamaschine hat dafĂĽr gesorgt, dass fast alle russischen BĂĽrger fĂĽr den Krieg gegen die Tschetschenen sind.

Nach einer Reihe von Kämpfen, wie im März 2000 in Goitschu (Komsomolskoe), wo das gesamte Dorf von ehemals 6000 Einwohnern restlos zerstört und 1100 tschetschenische Kämpfer getötet wurden, beschließt der tschetschenische Verteidigungsrat den Partisanenkampf.

Viele Jahre lang gleichte das besetzte Tschetschenien einem riesigen Konzentrationslager. An Ortsausgängen und Wegkreuzungen wegelagern Militärposten, die sich willkürlich an den Menschen auslassen aber vor allem verdienen wollen. An manchen Posten steht ein Schild: Wir haben es satt euch zu töten, die Passage kostet 50 Rubel. Die russische Armee ist mit mehr als 100.000 Mann überall präsent aber kontrolliert wegen ihrer Bestechlichkeit nichts, wie die letzten Terroranschläge zeigen.

Die Bevölkerung lebt in ständiger Angst vor den Säuberungen, mit denen die Bevölkerung systematisch dezimiert wird. Bei jeder Säuberung werden bis zu 100 Personen mitgenommen, grausam geprügelt und verhört. Fünfzehn bis zwanzig verschwinden in den berüchtigten Lagern und können, wenn das Dorf das Geld aufbringt, freigekauft werden. Einige werden in den nächsten Tagen gefoltert und verstümmelt irgendwo verscharrt aufgefunden. Viele Dörfer haben bis zu 40 Säuberungen hinter sich. Internationale Menschenrechtsorganisationen, denen offiziell der Zutritt nach Tschetschenien verwehrt wird, dokumentieren grausamste Verbrechen.

Nach der Einsetzung des Putinfreundes Ramsan Kadyrov als pro-russischen Präsidenten wird die Stadt Grozny wieder aufgebaut. Seine Milizen und Todesschwadrone setzen die gezielten Säuberungen fort und beherrschen das Land. Der Widerstand spaltet sich auf in Demokraten und Islamisten. Islamistische Anschläge in gesamten Nordkaukasus liefern Anlässe für das Einschreiten des russischen Militärs. Eine Befriedung des Kaukasus ist auf lange Zeit nicht in Sicht.

Chronik des 2. Tschetschenienkrieges

1999

März Planung und Vorbereitung des Zweiten Tschetschenienkrieges (nach Äußerung des damaligen Ministerpräsidenten Stepaschin)

8. 08. Schamil Bassaev und Amir al-Chattab dringen mit ca. 2.000 Kämpfer in Dagestan ein und rufen einen unabhängigen islamischen Staat Dagestan aus. Präsident Maschadov distanziert sich von ihnen und verurteilt den Einmarsch.

9. 08. Jelzin entlässt Ministerpräsident Stepaschin und setzt Wladimir Putin zu seinem Nachfolger ein, der eine russische Großoffensive gegen die tschetschenischen Kämpfer in Dagestan befiehlt, die auch in Tschetschenien fortgesetzt werden soll.

9. 09. – 16. 09. Drei Sprengstoffanschläge auf Wohnhäuser in Moskau und der südrussischen Stadt Wolgadonsk fordern insgesamt 240 Tote und mehr als 300 Verletzte. Ohne dass es für eine tschetschenische Schuld Anhaltspunkte oder Beweise gab, bricht in ganz Russland eine Verfolgungswelle gegen alle Tschetschenen und Kaukasier aus.

Ab 21. 09. Isolierung Tschetscheniens und Bombenangriffe auf Grosny. Bis 26. 09. werden alle Erdöllager und Raffinerien in Brand geschossen und vernichtet. Flüchtlingskolonnen stauen sich am Grenzübergang nach Inguschetien.

6. 10. Am Stadtrand von Grosny wird ein Bus mit FlĂĽchtlingen beschossen, es gibt 28 Tote.

4. 11. Die Zahl der FlĂĽchtlinge nach Inguschetien erreicht 200.000, 7.000 fliehen ĂĽber die Berge nach Georgien, ca. 100.000 nach Dagestan, 175.000 irren schutzlos im Land umher.

9. 11. Zerstörung von Bamut

2000

1. 02. Präsident Maschadov, das Parlament und ein großer Teil der tschetschenischen Streitkräfte brechen aus und verlassen Grosny. Beim Überqueren eines Minenfeldes bei Alchan-Kala kommen mehr als 3.000 Kämpfer um. Schamil Bassaev wird der Fuß abgerissen. März Schlacht um Goitschu (Komsomolskoe), 400 Bewohner, Frauen, Alte und Kranke werden tagelang auf einem Schneefeld festgehalten und erleben die völlige Zerstörung ihres Dorfes. Mehr als 1.000 Männer werden getötet. Das Dorf Goitschu mit ehemals 6.000 Einwohnern gibt es nicht mehr.

11. 02. Maschadov erklärt den Partisanenkrieg. Die russischen Truppen werden überall im Land angegriffen.

Ab Februar in Filtrationslagern wie Chankala, Tschernokossovo, PAP-5 (bei Grosny), Internat (bei Urus-Martan), Ptitschnik (ehem. Hühnerfabrik in Otschroi-martan), GUOSCH wird regelmäßig gefoltert und gemordet.

12. 06. Schwerste Gefechte zwischen tschetschenischen und russischen Truppen

21. 06. Drei Menschenrechtsexperten des Europarates nehmen in Grosny ihre Arbeit auf.

3. 07. Selbstmordanschläge der Mudjahedin in Argun, Gudermes und Urus-Martan fordern Hunderte Tote unter russischen Soldaten und Offizieren.

26. 07. Der französische Philosoph André Glucksmann berichtet in der Zeitung „Die Zeit“ von seiner heimlichen Reise durch Tschetschenien und warnt vor Russland als einem der größten Schurkenstaaten des 21. Jh.

25. 10. die Menschenrechtsorganisation Human Right Watch legt eine neue Studie vor ĂĽber die Anwendung der Folter in Tschernokossowo.

2001

24. 02. die russische Journalistin Anna Politkowskaja von der „Nowaja Gaseta“ wirft der russischen Regierung schwerste Menschenrechts-verletzungen vor.

25. 02. im Beisein von Mitarbeitern der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial wird ein Massengrab bei dem Militärstützpunkt Chankala (am Flugplatz von Grosny) exhumiert. Es werden die Leichen von 48 ermordeten Tschetschenen gefunden, unter ihnen drei Frauen. Fast alle sind Zivilisten. Viele Leichen weisen schwerste Folterspuren auf: Brandwunden, abgeschnittene Ohren, abgezogene Haut.

14. 03. drei Tschetschenen entfĂĽhren ein russisches Flugzeug mit 162 Passagieren nach Saudiarabien und fordern ein Ende des Tschetschenienkrieges.

10. 04. im Keller eines russischen Polizeipostens wird ein zweites Massengrab entdeckt mit 17 Leichen, die Folterspuren aufweisen.

12. 04. der prorussische Administrator Adam Deniev, Offizier des FSB, der Anfang der 90ger Jahre in Tschetschenien den Wachabismus propagierte, wird in Grosny durch einen Bombenanschlag getötet.

5. 09. tschetschenische Kämpfer unter Gelaev durchqueren mit Billigung der georgischen Regierung Georgien und liefern sich bis Mitte Oktober im Kodori-Tal Gefechte mit den abchasischen Truppen, die von der russischen Luftwaffe unterstützt werden.

25. 09. Gespräche zwischen Achmed Sakaev und Kasanzew in Grosny

18. 11. Treffen zwischen Achmed Sakaev und Kasanzev auf einem Flughafen in Moskau, es kommt zu keiner Einigung

28. 11. Angriff der russischen Luftstreitkräfte auf georgische Dörfer im Pankissi-Tal, wo sich einige Tausend tschetschenische Flüchtlinge aufhalten.

30. 12. Rücktritt des Präsidenten Inguschetiens, Ruslan Auschev. Im April 02 wird der FSB-Offizier Siasikov seine Nachfolge antreten.

2002

27. 01. Abschuss eines russischen Militärhubschraubers. Unter den 14 Toten sind zwei Generäle und drei Offiziere im Rang eines Oberst. Bis Februar haben die russischen Streitkräfte drei Hubschrauber verloren.

23. 10. Ein tschetschenisches Selbstmordkommando, unter ihnen viele Frauen, nehmen in einem Moskauer Musical-Theater ca. 400 Geiseln und fordern ein Zeichen fĂĽr die Beendigung des Tschetschenienkrieges. Bei der Einlassung eines Kampfgases sterben ca. 130 der Geiseln. Die Geiselnehmer werden erschossen. Schamil Bassaev bekennt sich zu dem Anschlag. Maschadov verurteilt ihn.

28. / 29. 10. Tschetschenischer Weltkongress in Kopenhagen; nach dem Kongress wird der tschetschenische Minister und Sondergesandte Maschadovs, Achmed Sakaev, verhaftet.

30. 11. Ermordung von Malika Umajieva, der BĂĽrgermeisterin von Alkhan-Jurt

27. 12. Anschlag auf das Gebäude der russischen Administration

2003

2. 01. Das Mandat für die OSZE in Tschetschenien wird von Russland nicht verlängert.

23. 03. Durchführung eines Zwangsreferendums in Tschetschenien über eine neue Verfassung und neue Gesetze für die Wahl eines Präsidenten und Parlaments. Trotz der weitgehenden Boykottierung der Wahl kommentiert Putin die gefälschten Wahlergebnisse: Jetzt gehört Tschetschenien wieder zu Russland!

20. 04. Ermordung der Menschenrechtlerin Sura Betieva und ihrer Familie

1. 08. Anschlag auf ein Militärkrankenhaus in Mosdok (Nord-Ossetien).

5. 10. Pseudowahl von Achmed Kadyrov zum „Präsidenten“ der russischen Besatzerregierung in Tschetschenien

2004

10. 01. Ermordung von Aslan Davletukaev, Mitarbeiter der Russisch-Tschetschenischen Freundschaftsgesellschaft

13. 02. Ermordung des tschetschenischen Dichters und Expräsidenten Selimkhan Jandarbiev in Katar; zwei Agenten des FSB werden der Tat überführt, im Juni zu lebenslanger Haft verurteilt und an Russland ausgeliefert.

9. 05. Tödlicher Sprengstoffanschlag auf den von Russland eingesetzten tschetschenische Präsidenten Achmed Kadyrow in einem Stadion in Grosny

21. 06. Anschlag in Nazran auf das Innenministerium, das Gebäude des FSB, auf Polizeiposten und Kasernen. Mindestens 98 Polizisten und Beamte werden getötet, darunter der Innenminister, der Gesundheitsminister, der Staatsanwalt von Nasran und der Bezirksstaatsanwalt.

30. 08 Pseudowahl des pro-russischen Polizeigenerals Alu Alchanow zum „Präsidenten“ der russischen Besatzerregierung in Tschetschenien

1. 09. Blutige Geiselnahme in Beslan/Nordossetien. Die Schule wird mit Brandgeschossen gestĂĽrmt, es sterben 330 Menschen, vor allem Kinder.

2005

2. 02. Verkündigung eines einseitigen Waffenstillstandes für einen Monat durch Aslan Maschadow. Seine Einhaltung bezeugt die Autorität Maschadows für Verhandlungen.

24./25. 02. Unterzeichnung des so genannten Londoner Memorandums bei einem Treffen zwischen Achmed Zakaev und den SoldatenmĂĽttern Russlands in der Vertretung des EU-Parlaments in London

8. 03. Ermordung des tschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow, angeblich in Tolstoi-Yurt. Die Bilder seines geschändeten Leichnams gehen um die Welt. Seine Herausgabe zur Beerdigung wird den Verwandten verweigert. Sein Nachfolger wird verfassungsgemäß Abdul-Khalim Sadulaev.

13. 10. Anschlag auf 15 militärische Objekte und Kommandozentralen in Naltschik / Kabardino-Balkarien; an dem Anschlag sind 217 Kämpfer aus Kabardino-Balkarien, Tschetschenien und anderen nordkaukasischen Republiken beteiligt.

2006

17. 06. Tod des Präsidenten Said-Khalim Sadulaev. Sein geschändeter Leichnam wird im Fernsehen präsentiert, eine Bestattung verweigert; Der Nachfolger von Said-Khalim Sadulaev wird verfassungsgemäß sein Stellvertreter Dokku Umarov. Dokku Umarov war Direktor des nationalen tschetschenischen Sicherheitsdienstes und Kommandeur der Westfront.

10. 07. Tod Schamil Bassaevs

Anfang Juli Die russische Duma erlässt zwei Gesetze; das erste erlaubt der Regierung „Extremisten“ und „Terroristen“ in Russland und im Ausland zu liquidieren, das zweite definiert Regierungsgegner und Regimekritiker als Extremisten. Gerüchten zufolge sollen Spezialkommandos des Geheimdienstes FSB die entsprechenden Personen im In- und Ausland beseitigen.

7. 10. Ermordung der international bekannten russischen Journalistin Anna Politkowskaja

23. 11. Der in London im Exil lebende ehemalige FSB-Offizier Alexander Litwinenko stirbt an den Folgen einer Vergiftung mit der radioaktiven Substanz Polonium 210.

2007

15. 02. Pseudowahl Ramzan Kadyrovs zum pro-russischen Präsidenten Tschetscheniens; Wiederaufbau Groznys und des Landes

7. 10. Dokku Umarov erklärt sich in Verletzung des Artikels 69 der Verfassung zum Emir eines Kaukasischen Emirats, das führt zur Spaltung des Widerstands in Islamisten und Demokraten

6. 11. Das in Tschetschenien, Russland und Europa verstreute Parlament ĂĽbernimmt die politische FĂĽhrung der Tschetschenischen Republik Itschkeria

22. 11. Einsetzung Achmed Zakaevs, London, als Premierminister der TschRI und Bildung einer Exilregierung